Blumen, die nie welken: Das Geheimnis der Kränze der Alpenabtreib

Was Sie in diesem Artikel entdecken werden

Warum die Kühe beim Alpenabtreib riesige Blumenkränze… aus Krepppapier tragen
Wie eine Karnevalserfindung des 19. Jahrhunderts zum heiligen Symbol der Alpen wurde
Die geheime Bedeutung der Farben und der Anzahl der Rosen auf jedem Kranz
Die Arbeit von mehreren Dutzend Stunden, die von Müttern an Töchter weitergegeben wird
Traditioneller Blumenkranz der alpinen Désalpe
Wenn der Sommer mit Glöckchen und Blumen ins Tal zurückkehrt (Canva)

Die Kränze des Alpenabtreibs: Wenn die Almen in Blüten herabsteigen

Ende November beginnt der Berg zu weißeln. Die großen Glöckchen um die Hälse der Tiere werden nicht mehr ständig getragen. Die Herden steigen vom Berg herab, um für den Winter in die Ställe zurückzukehren.

Auf alten Fotos wie in der Erinnerung der Dorfbewohner leuchtet etwas weiter: Blumenkränze aus Krepppapier, wetterbeständig. Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die Blume aus Papier hat Wurzeln geschlagen und ist in einer noch älteren Tradition gewachsen: dem Abstieg von den Almen, einem Schlüsselmoment der Transhumanz. Im romandischen Teil der Schweiz spricht man üblicherweise von «Désalpe», während man anderswo «Abstieg von der Alm» sagt.

  • Im Sommer auf der Alm trägt jede Kuh Tag und Nacht ihre Glocke: Der Klang hilft den Hirten, sie in Nebel oder Nacht zu orten.
  • Sobald die Herde ins Dorf zurückgekehrt ist und die Tiere für den Winter in den Stall gebracht wurden, entfernt man die schweren Glöckchen. Sie hängen bis zum nächsten Frühling in der Scheune.

Jede Region hat ihr Wort, ihre Musik, ihre genauen Termine (von Mitte September bis Anfang November je nach Höhe). Aber überall dieselbe Emotion: Die Herde kehrt zurück, das Versprechen ist gehalten, das Tal wird wieder das Geläut der Glöckchen an den Kühen hören, das sich über die Berge spielt, in melodischen, beruhigenden Echos widerhallend.

Vor dem Krepppapier: Ein schlichte Fest, ein Versprechen

Bis ins 19. Jahrhundert schmückte man die Kühe mit dem, was der Berg reichlich gab: getrockneten Edelweißen, Enzianen, Wollbändern, manchmal einem Holzkreuz. Die Blumen verwelkten in wenigen Tagen. Die Geste war zunächst ein Dank: Dankbarkeit für einen Sommer ohne Unfälle, Rückkehr in den Rhythmus des Dorfes, Beginn der Winterarbeiten. Man schmückte aus Anerkennung, nicht aus Stolz.

Im Jura, im Beaufortain, in den Pyrenäen oder den Abruzzen hat diese Schlichtheit lange geherrscht. Noch heute sieht man dort Kühe, die nur mit einem einfachen Holzkreuz und einem Büschel getrockneten Grases geschmückt sind. Eine stille Eleganz.

Kuh geschmückt beim Abstieg von der Alm
Lebendige Tradition der alpenländischen Transhumanz

Das Papier kommt und verändert das Licht

Mitten im 19. Jahrhundert überschreitet das Krepppapier, erfunden in Italien, die Pässe von Lyon und Genf her, zunächst für Theater und Karneval. Sehr schnell erobert es die Hütten. Leicht, formbar, strahlend, hält es dort, wo die Blume nachgab. Der Trick wird zur Kunst, und die Kunst zur freundschaftlichen Wette: größer, farbenfroher, einfallsreicher. Der Kranz verspricht, hält sein Versprechen und erinnert sich.

Eine Grammatik der Farben und Zahlen

Nichts wird dem Zufall überlassen. Rot steht für Kraft und Freude. Das Weiß des Edelweißes für die Reinheit der Gipfel. Grün für das Gras des Sommers. Drei große Rosen für drei Generationen von Bauern, die gemeinsam hinaufgezogen sind. Sieben kleine für die Wochen des Sommeraufenthalts. Und wenn der Tod die Alm heimsucht, verzichtet man auf alles: Kein Kranz, kein Band, der Abstieg geschieht in Stille.

Ein Wissen, das abends am Tisch weitergegeben wird

Die Kränze werden von den feinen, geschickten Händen der Frauen gefertigt. Sobald September naht, versammeln sich Großmütter, Mütter und Töchter. Die Technik wandert von Nadel zu Nadel. In manchen Familien dienen dieselben Pappvorlagen seit mehr als einem Jahrhundert. Eine Papierrose hat sieben bis neun Lagen. Man faltet, man frisst, man bindet. Ein Kranz erfordert vierzig, manchmal sechzig Stunden. Die Zeit hinterlässt ihren Schimmer darin.

Von einem Hang zum anderen, Stile, die atmen

Im deutschsprachigen Teil der Schweiz bleibt der Stil zurückhaltend: klare Linien, Papier-Edelweiß an der Stirn der Königin. In Österreich und Tirol nimmt die Schönheit des Papiers ihr Licht an, und die Kränze sind mit Spiegeln geschmückt, die das Sonnenlicht einfangen, Seidenbändern, die knallen, und Glöckchen, die den Herdenton antworten.

In den französischen Gebirgen (Jura, Beaufortain, Pyrenäen) hat man lange die Sprache der einfachen Dinge bewahrt: Wolle, getrocknete Blumen, Holzkreuze, hier und da ein Hauch von Krepp. Überall herrscht die Geschicklichkeit der Frauen; jeder Kranz trägt den Abdruck der Frau, die ihn gefertigt hat.

Blumen und Glöckchen des Alpenabtreibs in den Alpen
Die Königin der Alm, geschmückt für das Tal

Racines sacrées, mémoire suspendue

Früher versprach man im Frühling, dass, wenn alle Tiere gesund und heil zurückkehrten, die Königin geschmückt werden würde. Das Papier verlängert diesen Schwur. In manchen Kapellen hängen noch zarte Kränze als farbige Votivgaben. Man schiebt einen kleinen Spiegel gegen den bösen Blick, ein Kreuz, um den Weg zu erleuchten.

Maßvolle Modernitäten, anhaltende Treue

Das Fest hat sich bevölkert: Märkte, Verkostungen, neugierige Menge. Heute wagen sich einige LED-Lichter in die Kränze, wie auf Weihnachtsbäumen, ein Plastik-Edelweiß auch, manchmal. Aber die Gemeinschaft murmelt: «Das ist nicht der Weg.» Das Krepppapier hält stand. Es raschelt wie gestern und bewahrt den Abdruck der Finger. Solange das gegebene Wort hält, sagt die Papierblume die Wahrheit.

Die Königin und das Gewicht der Blumen

Es ist immer die Königin, die das Schwerste trägt. Die Schönste hebt den Hals, senkt ihn manchmal unter der Fülle der Dekoration und ihrem Gewicht. Hier enthüllt die künstliche Blume ihr Geheimnis: Sie ist keine echte Blume, und doch sagt sie die Wahrheit. Sie erzählt ein ganzes Jahr: Arbeit, Sorge, Freude, Dankbarkeit. Während das Tal die Glöckchen empfängt, wandert eine Gewissheit zwischen Tieren und Menschen: Der Winter kann kommen. Im Frühling wird der Berg sagen, dass es Zeit zum Aufbruch ist, hinauf zu den Almen, die Glöckchen abzuhängen und sie den Kühen umzuhängen.

🌸 Vous aimez ce blog ?

Recevez une notification à chaque publication pour ne rien manquer !
(désabonnement en 1 clic)

S’abonner ✉️

À lire aussi :

Guide des Pétales (sommaire complet)

Häufig gestellte Fragen

Was ist die Désalpe?

Die Désalpe (oder Almabtreib) ist das traditionelle Sommerendfest, bei dem die Herden von den Bergen ins Tal zurückkehren, in der Schweiz, im savoyischen Frankreich, Österreich… Ein Moment der Freude und Dankbarkeit nach 4 bis 6 Monaten Sommeraufenthalt.

Warum tragen die Kühe beim Alpenabtreib Blumenkränze aus Papier?

Früher aus getrockneten Blumen (Edelweiß, Enziane), die zu schnell verwelkten. Seit dem 19. Jahrhundert hat das Krepppapier, leicht und widerstandsfähig, die echten Blumen ersetzt, damit die Schönheit den gesamten Abstieg und darüber hinaus anhält.

Wer fertigt die Kränze der Désalpe an?

Hauptsächlich die Frauen und Großmütter der Almfamilien. Sie versammeln sich ab September, um zu falten, zu frisieren und zu nähen – 40 bis 60 Stunden pro Kranz, oft mit denselben Pappvorlagen seit mehr als einem Jahrhundert.

Was bedeuten die Farben der Kränze?

Nichts ist zufällig: Rot = Kraft und Freude, Weiß = Reinheit der Gipfel, Grün = Sommergras. Die Anzahl großer Rosen symbolisiert oft die anwesenden Generationen; die kleinen die Wochen des Sommeraufenthalts.

Warum haben einige Kühe beim Alpenabtreib keinen Kranz?

Im Falle von Trauer (Tod eines Hirten oder eines wichtigen Tieres) verzichtet die Familie auf jede Dekoration: Der Abstieg erfolgt dann in Stille, ohne Farbe.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen